Was uns in Übergangszeiten wirklich trägt – persönlich und gesellschaftlich
Es gibt Phasen im Leben, da scheint alles gleichzeitig im Umbruch zu sein: ein Umzug, ein neuer Job, vielleicht sogar ein neues Land. Oder der Rückweg – zurück in eine alte Heimat, die sich plötzlich nicht mehr so anfühlt. Solche Übergänge sind herausfordernd. Sie machen uns unsicher, werfen Fragen auf, stellen Identitäten infrage. Aber sie bringen auch neue Klarheit, Perspektiven – und manchmal ein Stück von dem zurück, was wir in all der Bewegung fast verloren hätten: uns selbst.
In den letzten Jahren durfte ich viele solcher Phasen begleiten – in Coachings, im Hochschulkontext, in der Arbeit mit internationalen Fachkräften und mit Menschen, die selbst gerade zwischen Ländern, Sprachen, Rollen und Erwartungen stehen. Und in all diesen Begegnungen zeigt sich für mich immer wieder dieselbe Wahrheit:
Veränderung ist kein Bruch – sie ist der Boden für Wachstum. Wenn wir lernen, uns darin zu verankern.



Wenn Übergänge mehr als nur privat sind
Als ich im Sommer 2020 aus Kanada nach Deutschland zurückkam, war ich selbst in einer solchen Zwischenzeit. Vieles war vertraut – und gleichzeitig fremd. Ich wusste: Ich will meine Erfahrungen weitergeben, Menschen in ähnlichen Übergängen begleiten. Aber ich wusste auch, wie sehr es dafür Strukturen braucht, die mehr ermöglichen als „Ankommen“ im organisatorischen Sinne. Es braucht echte Zugehörigkeit. Räume für Entwicklung. Verlässlichkeit – besonders in Zeiten, die instabil sind.
Seit fünf Jahren bin ich nicht mehr nur freiberuflich tätig, sondern koordiniere auch das Pre-College-Programm an der Hochschule Fulda. Ich habe hunderte junger Menschen aus aller Welt beraten und inzwischen fast 100 von ihnen persönlich auf ihren ersten Schritten in Deutschland begleitet.
Ich sehe ihre Potenziale, ihre Fragen, ihre Kraft. Und ich sehe, wie schwer der Weg oft trotzdem bleibt – nicht, weil es an Können fehlt, sondern an passenden Rahmenbedingungen.
Fachkräftemangel ist kein wirtschaftliches Problem, sondern ein kulturelles
Deutschland braucht laut aktuellen Prognosen jährlich rund 400.000 zugewanderte Fachkräfte, um den Bedarf zu decken. Doch „kommen“ allein reicht nicht. Bei Veranstaltungen zur Fachkräftesicherung, wie zuletzt in Fulda oder bei der Jahresveranstaltung des Europäischen Sozialfonds (ESF+) 2025 in Frankfurt, wird das regelmäßig deutlich:
- Erwerbstätigkeit ist der Motor für Integration und Teilhabe an der Gesellschaft, aber ohne Sprachkenntnisse, Netzwerke und eine verlässliche Perspektive bleibt sie oft eine Sackgasse.
- Willkommenskultur darf nicht nur ein Wort sein – sie muss gelebt, gespürt, gestaltet werden. In Unternehmen, Verwaltungen, Bildungseinrichtungen – aber auch in kleinen Alltagsmomenten.
- Integration und Zugehörigkeit beginnt beim Zuhören, wenn wir Biografien ernst nehmen, Teams und Prozesse bewusst gestalten.

Was ich mir wünsche – für Menschen, Organisationen und Systeme
Bei einem Panel in Fulda hat mich kürzlich besonders bewegt, dass für meine Frage kein Raum mehr war:
Warum propagieren wir qualifizierte Zuwanderung – und scheitern dann so oft an der Bereitschaft, internationale Fachkräfte oder auch Studierende wirklich einzubinden?
Genau hier liegt für mich ein Schlüssel. Wir dürfen nicht nur nach Fachkräften suchen. Wir müssen vielmehr unsere Kultur in Unternehmen, in Behörden und in der Gesellschaft so gestalten, dass Menschen bleiben wollen.
Ich wünsche mir, dass wir individuelle Biografien als Teil gesellschaftlicher und kultureller Veränderung verstehen. Dass wir Integration und Fachkräftesicherung nicht mehr getrennt denken. Dass wir Übergangszeiten nicht als Problem, sondern als Chance begreifen.
Persönliche Übergänge – kollektive Verantwortung
Was ich in der Fachkräftediskussion oft vermisse, ist das Persönliche. Die Frage: Was macht das alles mit den Menschen? Mit jedem und jeder Einzelnen von uns und denjenigen, die zu uns kommen?
Übergangszeiten fordern immer alle Beteiligten heraus.
In Beratungen und Coachings erzählen mir Menschen von ihren Zweifeln und ihrer Unsicherheit, von Aufbruchsstimmung und Heimweh, ihrem Stolz und ihrer Motivation. Aber auch von dem Gefühl, „dazwischen“ zu leben – zwischen Ländern oder Jobs – nicht mehr ganz dort, noch nicht ganz hier.

Was uns in Übergangszeiten trägt – drei persönliche Anker
In all den Jahren habe ich drei Dinge als besonders hilfreich erlebt:
1. Werte erkennen – und danach handeln
- Was ist mir wirklich wichtig? Was möchte ich auch im neuen Kontext bewahren?
- Wertearbeit ist nicht nur ein Coachingtool – sie ist ein Kompass. Besonders, wenn sich alles andere verändert.
2. Beziehungen bauen – nicht nur Netzwerke
- Kontakte sind wichtig, aber sie ersetzen kein echtes Gegenüber.
- Wer in einem neuen Land oder einem anderen Job Fuß fassen will, braucht mehr als Kontakte – wir brauchen Menschen, die Türen öffnen, Fragen ernst nehmen, Fehler aushalten.
3. Rituale & Routinen entwickeln
- Kleine Dinge – eine feste Morgenroutine, ein Gespräch in der Muttersprache, ein Spaziergang nach Feierabend – können in uns genau das verankern, was im Außen fehlt: Stabilität, Selbstwirksamkeit, ein Gefühl von „Ich bin hier, und ich bin okay.“
Wenige letzte Gedanken
Veränderung ist nichts, was du überstehen musst. Sie ist etwas, das du gestalten darfst. Und wenn du gerade „dazwischen“ lebst:
- Was möchtest du mitnehmen aus deiner alten Phase?
- Was darf zurückbleiben?
- Was brauchst du, um dich in der neuen Phase nicht zu verlieren, sondern anzukommen?
- Und was kannst du selbst beitragen?
Wenn du dich in diesem Text wiederfindest, oder wenn du gerade selbst in einer beruflichen oder persönlichen Übergangszeit steckst, dann weißt du jetzt: Du bist nicht allein.
Wenn du Austausch oder Begleitung suchst, schreib mir gerne: susan[at]karrierepfa.de
Viele Grüße aus Kassel sendet Susan