Ich gehöre zu den Menschen, die nach Feierabend nicht mehr ihre Dienstmails checken. In meiner Elternzeit habe ich nicht ein einziges Mal in mein dienstliches E-Mail-Postfach geguckt. Als ich es dann doch einmal wollte, war mein Passwort abgelaufen. Das war wohl ein Zeichen.
…und so bin ich seither dabei geblieben: Nach Feierabend – und erst recht im Urlaub – nutze ich die Zeit lieber mit meiner Familie oder für mich selbst und meine Hobbies.
Es gibt viele, von denen ich weiß, dass sie es genauso handhaben. Und dann gibt es Diejenigen, die ständig erreichbar sind („Jeder Zweite checkt seine E-Mails nach Feierabend“, Der Tagesspiegel, 25.07.2016). Diejenigen, die um 23 Uhr noch Dienstmails verschicken. Die ihr Telefon ständig bei sich tragen. Die innerhalb von 5 min auf eine E-Mail antworten. Die „nur nochmal eben Mails checken.“
Es ist ja auch keine Belastung, sondern nur ein schneller Klick (das Passwort ist natürlich eingespeichert), sich ins Firmenportal einzuloggen. Und wenn man schon einmal drin ist, kann man ja auch schnell auf die Mail eines Kollegen antworten, der ja nur eine kurze Frage gestellt hat.
Ich hatte mal einen Kollegen, der permanent online war, tags und nachts. Er hat für die Firma gelebt und war immer erreichbar. Er sagte „Das macht mir nichts aus. Ich mache das gern und die Projekte müssen doch laufen. Ruf mich ruhig an, das ist kein Problem.“ Ist das wirklich so, dass man in einem Unternehmen ein solches Alleinstellungsmerkmal hat, dass man sich nicht einmal eine Pause gönnen kann? Woher kommt das Gefühl, die ganze Zeit erreichbar sein zu müssen?
Überraschenderweise war es dann eben jener ständig erreichbare Kollege, der in seinem Urlaub konsequent keine Mails gelesen hat und telefonisch nicht zu erreichen war. Bewundernswert! Das hat er wirklich durchgezogen. Und siehe da: nach seiner Rückkehr stand die Firma noch, die Projekte gingen ihren geregelten Gang und für Fragen gab es andere Ansprechpartner mit gleicher Expertise.
Denn: Keiner ist unersetzlich. Keiner muss ständig erreichbar sein. Pausen sind gut und wichtig. Zum Kraft tanken. Zum Durchatmen. Für neue Impulse, die gewinnbringend für die Arbeit eingesetzt werden können.
In einer Umfrage von YouGov gaben nur etwa 50 % der Befragten an, nie bzw. selten außerhalb der Arbeitszeit berufliche Telefonate zu führen oder dienstliche E-Mails zu beantworten. Dass die ständige Erreichbarkeit der anderen 50 % (ob nun vom Arbeitgeber gewünscht oder auf eigene Initiative) Folgen hat, ist kein Geheimnis mehr. Denn selbst, wenn kein Anruf und keine E-Mail kommen. Allein die Tatsache, dass man damit rechnet, kontaktiert zu werden, versetzt den Körper in eine Alarmbereitschaft.
Die potentiellen Folgen der ständigen Erreichbarkeit für Erholung und Gesundheit beschreibt der iga.Report23. Gut an dieser Studie ist, dass sie nicht nur die negativen, sondern auch die positiven Seiten der Mobilität und ständigen Erreichbarkeit ansprechen. Denn wie alles im Leben hat natürlich auch die Erreichbarkeit zwei Seiten der Medaille:
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POSITIV: „Die Erreichbarkeit für Arbeitsanforderungen, die nicht am betrieblichen Arbeitsplatz, sondern von jedem anderen Ort (insbesondere von zu Hause) erledigt werden können, eröffnet die Möglichkeit der flexiblen Arbeitsortwahl. Wenn es für Teile oder die gesamte Arbeit den Beschäftigten überlassen bleibt, wo und insbesondere innerhalb welches zeitlichen Rahmens diese ihre Arbeit erledigen, erhalten Beschäftigte den zeitlichen Handlungsspielraum, die Erfordernisse außerhalb der Arbeit (z. B. Kinderbetreuung, Arztbesuche, Hausarbeit, Weiterbildung, Freizeitaktivitäten etc.) mit den zeitlichen Erfordernissen der Arbeitsanforderungen individuell zu gestalten.“ (iga.Report23, S. 13)
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NEGATIV: „Neben der Verlängerung der Arbeitsbelastung durch die Nutzung der Verfügbarkeit, das heißt durch die Erledigung von Arbeitsaufgaben, entsteht eine zusätzliche Belastung, die sich aus der Erwartung ergibt, kontaktiert zu werden. Diese Erwartung erschwert die Distanzierung von der Arbeit und damit auch die Erholung.“ (iga.Report23, S. 13)
Gerade jetzt im Sommer – zur Haupturlaubszeit des Jahres – ist die ständige Erreichbarkeit mehr denn je aktuell. Daher beschäftigen sich momentan viele Autoren/innen mit diesem Thema.
Hier einige Beispiele:
- Feierabend? Wie die ständige Erreichbarkeit uns krank und unglücklich macht
(EDITION F, 26.07.2016)
>> Die fehlenden Pausen führen bei einem Fünftel dazu, dass auch der Schlaf darunter leidet, sich Stress und Druck aufbauen und daraus können wiederum Bluthochdruck, Angstzustände oder auch ein Burnout entstehen. 15 Prozent geben sogar an, gar nicht abschalten zu können, bis es am nächsten Tag schon wieder von vorne losgeht. <<
- Warten auf den Anruf: Ständige Erreichbarkeit macht krank
(Süddeutsche Zeitung, 27.06.2016)
>> Kaum eine Rolle spielt, wie viel Spaß die Arbeit macht. Auch Traumjobs können negative Folgen haben. „Es ist möglich, dass Sie hochmotiviert sind, aber nach ein paar Monaten trotzdem plötzlich schlechter schlafen„, erklärt Paridon. Erste Anzeichen für Probleme gibt es möglicherweise am Sonntagabend: „Das äußert sich zum Beispiel darin, dass Sie auch nach einem Wochenende nicht erholt sind, weil Sie im Kopf die ganze Zeit bei der Arbeit waren.“ <<
- iga.Studie: Ständige Erreichbarkeit führt zu Defiziten bei Schlaf und Erholung – Beschäftigte wünschen sich Regelungen für Erreichbarkeit
(DGUV, 25.07.2016)
>> Doch die Vermischung von Arbeit und Privatleben belastet auch die Partnerinnen und Partner: 68 Prozent gaben an, durch die Erreichbarkeit ihres Lebensgefährten beeinträchtigt zu sein. Betroffen davon sind unter anderem familiäre Verpflichtungen, die gemeinsame Urlaubsgestaltung, aber auch die eigenen Schlaf- und Erholungszeiten. <<
- Ständige Erreichbarkeit: Vom Job abschalten ist kaum mehr möglich
(Zeit online, 26.07.2016)
>> In Familien mit Kindern sind es oft die Frauen, die sich daran stören. Sie achten zumeist etwas strenger auf eine Trennung zwischen Arbeit und Privatleben: 69 Prozent der Mütter mit minderjährigen Kindern arbeiten Teilzeit, die meisten von ihnen, weil sie anders Familie und Beruf nicht vereinbaren könnten. Sie schultern insofern den Großteil der Familienarbeit – und fühlen sich beeinträchtigt, wenn der Job den Partner in seiner ohnehin schon knappen Zeit für die Familie über Gebühr beansprucht und beispielsweise gemeinsame Freizeitaktivitäten gestört werden oder nicht möglich sind. <<
Die Studienergebnisse und die Textauszüge zeigen, dass die ständige Erreichbarkeit durchaus ihre Konsequenzen hat – nicht nur für die eigene Gesundheit, sondern auch für Familienzeit und Partnerschaft.
In diesem Sinne: Pausen sind nicht nur gesetzlich vorgeschrieben (siehe Arbeitszeitgesetz §4 Ruhepausen und §5 Ruhezeit). Auch in unserem eigenen Interesse sowie unserer Familie und unseren Freunden zuliebe sollten wir darauf achten, ab und zu mal offline zu sein!
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