*Triggerwarnung: Dieser Artikel enthält persönliche Erfahrungsberichte über Todesfälle, Abschiede und den Umgang mit Trauer während der Auslandszeit. Einige Leser*innen könnten das beunruhigend finden. Bitte entscheide selbst, ob du dich von diesem Thema getriggert fühlen könntest oder nicht. Dieser Beitrag ersetzt keine psychologische, seelsorgerische oder therapeutische Betreuung. Wer aktuell in der aktiven Trauerbewältigung ist, findet hier weitere Infos.

Wenn die Welt auf einmal stillsteht
An einem kalten, aber sonnigen Dienstagmorgen – sechs Tage vor Weihnachten – ertönt der Nachrichtenton meines Telefons. Eine WhatsApp-Nachricht blinkt auf, abgesendet vom Handy meiner Freundin A., zu diesem Zeitpunkt 33 Jahre alt. Ein Ausschnitt der Worte, die mir tief ins Mark fahren: „[…] A. liegt nach einer Not-OP im künstlichen Koma. […] Bitte keine Anrufe, ich melde mich, wenn es Neuigkeiten gibt. […]“ Meine erste Reaktion ist Wut. Ich frage mich, wer sich hier einen albernen Scherz erlaubt, wer das Handy meiner Freundin gehackt oder geklaut hat, und dann solche Nachrichten verschickt. Diesem ersten Impuls folgend will ich schon zurückschreiben. Doch während mein Kopf noch denkt ‚Das kann nicht sein, wir haben erst vor wenigen Tagen miteinander telefoniert‘, beginnt mein Herz, wild zu klopfen und meine Hände werden feucht.
Was mein Kopf nicht verstehen will, fühlt mein Herz bereits. Da sitze ich nun an meinem Schreibtisch in Kanada, tausende Kilometer von einer meiner engsten Freundinnen entfernt, breche in Tränen aus und kann nichts tun – außer zu warten. Auf Hoffen und Bangen folgt nur wenige Tage nach der ersten Nachricht die traurige Gewissheit: es gibt für meine Freundin keine Chance mehr. Ich bin fassungslos, hatten wir doch eine Woche zuvor noch kichernd ihrem Neugeborenen gelauscht, und nun soll ich mich plötzlich von ihr verabschieden? Doch die Prognose ist klar und so beginnen fast unerträgliche Tage des stillen, aber andauernden Wunsches, sie möge loslassen, nicht leiden und ihre Ruhe finden. Vier Tage nach Weihnachten ist es soweit.
Der plötzliche Tod meiner Freundin ist mittlerweile fast zweieinhalb Jahre her, und auch, wenn die Wunde langsam heilt – vergessen werde ich diese Erfahrung nie, denn sie hat mich auf ganz besondere Weise wachgerüttelt. In einem Alter, in dem ich glaubte ‚Ich habe ja noch so viel Zeit‘, wurde mein eigenes Sicherheitsempfinden auf die Probe gestellt. Es gingen Wochen und Monate ins Land, bis die Sorge weniger wurde, dass auch anderen wichtigen Menschen in meinem Leben plötzlich etwas zustoßen könnte. Trauer und Traurigkeit haben ihr eigenes Tempo. Jeder Mensch geht damit anders um und findet seinen eigenen Weg.
Trauern im Ausland
Für die meisten Menschen ist es emotional und belastend, wenn ein geliebter Mensch schwer erkrankt oder stirbt. Viele Menschen, die zu diesem Zeitpunkt tausende Kilometer von der geliebten Person entfernt im Ausland leben, stehen vor zusätzlichen Fragestellungen:
„Kann ich den geliebten Menschen nochmals sehen und mich verabschieden? Was muss alles organisiert werden? Wie kann ich aus der Ferne Abschied nehmen? Soll ich zur Beerdigung reisen, schaffe ich es überhaupt rechtzeitig? Kann ich mir die Reise leisten? Wie organisiere ich in dieser Zeit den Alltag im Ausland? Reise ich allein oder reisen wir als Familie? Wie kann ich die Hinterbliebenen aus dieser Distanz unterstützen?“
Ich kann und möchte an dieser Stelle nichts raten oder empfehlen. Was mir geholfen hat, mag für andere wirkungslos sein. Doch ich möchte gern meine Erfahrung teilen, weil ich weiß, dass es viele ähnliche Geschichten und Erlebnisse „da draußen“ gibt, und weil die Gewissheit, nicht allein zu sein, einfach guttut.
Worin ich Trost fand…
Gefühle zulassen und ihnen Raum geben. Von Wut, Sehnsucht, Enttäuschung, Verzweiflung, Fassungslosigkeit, Unverständnis und tiefer Traurigkeit war alles vertreten. Ich habe diese Emotionen akzeptiert, angenommen und auch nach außen gezeigt.
Darüber reden. Tod und Trauer dürfen keine Tabuthemen sein. Deshalb habe ich natürlich mit meinem Mann und mit meinen Kindern (kindgerecht) viel darüber gesprochen. Es gab auch Momente, in denen wir einfach nur gemeinsam geschwiegen haben. Es folgten viele lange Telefonate mit Familie und Freunden in Deutschland.
Ablenkung schaffen. Meine Freunde im Ausland kannten meine Freundin nicht. Obwohl dies einerseits schwer für mich war, sorgte es auf der anderen Seite dafür, dass auch ich selbst ab und zu Abstand gewinnen konnte. Mit einer Freundin verbrachte ich einen Mädelsabend in einer Wein-Bar. Natürlich ist es wichtig, traurig zu sein. Genauso wichtig ist es jedoch, weiter im „Jetzt“ zu leben, zu sein und über andere Dinge zu sprechen.
Abschiedsworte sprechen. Woher der Mann meiner Freundin die Kraft nahm, weiß ich bis heute nicht. Doch er ermöglichte nicht nur mir, sondern auch vielen anderen nahestehenden Menschen, noch einmal direkt Worte an sie zu richten, indem er Audionachrichten sammelte, die er meiner Freundin der Reihe nach vorspielte. Als Psychologin bin ich davon überzeugt, dass diese Worte sie erreicht haben. Als Freundin bin ich unendlich dankbar für diese Chance.
Bewusst trauern. Organisatorisch war es mir in dieser Zeit nicht möglich, nach Deutschland zu reisen. Zur Stunde der Beisetzung meiner Freundin stellte ich mir den Wecker. Obwohl es in Kanada mitten in der Nacht war, wollte ich „dabei“ sein. Ich zündete eine Kerze an, hörte die Lieblingslieder meiner Freundin, schrieb ihr einen Brief und dachte an sie. Am Morgen ließ ich mit meinem Mann und meinen Töchtern einen Ballon mit meinem Brief in die Luft steigen. Tagsüber ging ich an einen Ort, den ich bis heute mit meiner Freundin verbinde, obwohl sie dort niemals war, und stellte dort eine Kerze für sie auf. Wann immer ich später dorthin zurückkam, fühlte ich mich besonders eng mit ihr verbunden.
Das Grab besuchen. Beim nächsten Heimaturlaub besuchte ich mit dem Ehemann meiner Freundin (ebenfalls ein guter Freund) den Friedhof. Mehr als eine Stunde standen wir bei ihr, lachten, weinten und tauschten Anekdoten aus. Abends saßen wir noch lange zusammen und sprachen stundenlang miteinander.
Reisen aufgrund eines Trauerfalls
Mehrere Jahre lebte ich im Ausland und in dieser Zeit musste ich mich leider von einigen Menschen verabschieden. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass man in diesen Momenten an alles andere als an Geld denkt. Daher möchte ich an dieser Stelle einen wichtigen Hinweis teilen: Als meine Oma verstarb, zahlte das Unternehmen meines Mannes meine kompletten Reisekosten.
Wenn man als Expat im Ausland lebt, lohnt es sich also immer, beim entsendenden Unternehmen nachzufragen, ob eventuell Reisekosten übernommen werden (bis zu einem bestimmten Verwandtschaftsgrad ist das oftmals der Fall). Viele Airlines bieten zudem Sondertarife bei dringenden und kurzfristigen Reisen aufgrund von Trauerfällen an. Es tröstet nicht über den Verlust, aber es erleichtert die Organisation der Reise.
Es geschieht oft unerwartet
Vor mehreren Monaten zog ich von Kanada zurück nach Deutschland. Einer der wichtigsten Gründe dafür war, wieder näher bei der Familie zu sein. Denn auch, wenn meine Eltern und Schwiegereltern noch verhältnismäßig jung sind, wollte ich vor allem meinen Töchtern die Chance geben, nicht mehrere Flugstunden, sondern nur noch wenige Autostunden von ihren Omas und Opas entfernt aufzuwachsen. Nie im Traum hätte ich daran gedacht, dass es bei unserer Rückkehr nach Deutschland ein Großelternteil weniger geben würde.
Noch auf dem Weg zum Flughafen erreicht uns die Nachricht, dass die (Schwieger-)Mama plötzlich und unerwartet schwer erkrankt ist. Wie knapp zwei Jahre zuvor bei meiner Freundin überschlagen sich die Ereignisse und zwei Tage nach der Ankunft in Deutschland ereilt uns die traurige Gewissheit, dass wir uns nur noch verabschieden können. Mein Mann, der sich zu dieser Zeit noch in Kanada aufhält, reist kurzfristig ebenfalls aus, wohlwissend, dass wir vorerst nicht zurückreisen können, denn die COVID-Pandemie ist in vollem Gange.
Solche Erlebnisse tun im Herzen weh und ich habe mich in diesem Moment kurzzeitig gefragt: Hätte ich häufiger nach Deutschland reisen, öfter anrufen oder irgendetwas anders machen sollen? Doch es gibt im Leben einfach Dinge, die kann ich nicht beeinflussen. Wann immer ich in Deutschland war, habe ich mich mit den wichtigsten Menschen in meinem Leben getroffen, auch wenn es nur für eine halbe Stunde war. Noch eine Umarmung, ein gemeinsames Foto und ein fröhliches „bis bald!“ Ich habe immer versucht, mich in positiver Stimmung von meinen Lieben zu verabschieden, denn ich wusste nicht, wann oder ob ich sie wiedersehe. Viele Expats, die ich kenne, machen das ganz ähnlich.
Abschlussgedanken…
Wenn ich an meine verstorbene Freundin denke, huscht ein Lächeln über mein Gesicht, denn für unser letztes Treffen warf sie spontan alle ihre Pläne über den Haufen, um mich für gerade mal eine halbe Stunde zu sehen. Meine Tochter erzählt noch heute von diesem Treffen, denn meine Freundin spendierte Eis. Als ich für die Beisetzung meiner Oma nach Deutschland reiste, sorgte das für ungeplante und umso intensivere Stunden mit meiner Familie. Außerdem erlebte ich in diesen Tagen fast hautnah die Geburt des Babys meiner Trauzeugin mit, welches ich sonst erst viele Monate später kennengelernt hätte.
Meine Töchter tragen regelmäßig Kleidungsstücke, die meine Freundin und die (Schwieger-)Mama für sie nähten. Jedes Mal sprechen wir dann von ihnen und denken an sie. Und wir stellen uns vor, wie meine Freundin, die Oma, die Uromi und alle anderen Menschen, von denen wir uns verabschieden mussten, in diesem Moment zusammen auf einer Wolke sitzen, Kaffee trinken und miteinander lachen. Das Bild der Wolke prägte meine damals Vierjährige, als meine Oma verstarb, und egal, wo ich bin:
Wenn ich eine Wolke sehe, dann denke ich an die Menschen, die ich vermisse und stelle mir vor, wie sie auf dieser Wolke lachend durch die Lüfte schweben und die Welt von oben erkunden.
Hast du ähnliche Erfahrungen gemacht?
Wie bist du damit umgegangen
und welchen Tipp möchtest du gern teilen?
Stille Grüße, Susan
P.s.: Weitere sehr lesenswerte Artikel zum Thema:
„The life of an expat is without a doubt adventurous and exciting on many levels, but even with this excitement, there are times, when loneliness and longing for our loved ones creeps up on us, that we question our life choices. And, of course, there is not a more difficult time than when you lose a loved one.“ (Losing Someone – Dealing with Grief as an Expat, Maggie Hari für InterNations)
„We live with this fear; we try coping with it as well as we can. Stay on the present, mindfulness. We visit home as often as we can and seize every opportunity we have to spend time with them. Until it happens. Our most terrible fear comes true. And it’s awful. Always.“ (Expat Grief: Coping with Loss Living Abroad, Gabriela Encina)
„On more than one occasion this past year, family members would call or send messages about major life events while I was asleep. So when I woke up to find two missed calls from my brother Nate this past Monday, my heart immediately dropped.“ (Grieving While Abroad: Expat Experiences, John Morin, The Wanderlust Pilgrim)
„Facing grief alone is further exacerbated by the fact that no one in your life abroad knew the person who died back home.“ (Losing Loved Ones Abroad, Robin Pascoe, expatexpert.com, Families in Global Transition Downloads)