Expat Talk #4: „…dass man mit der gesamten Familie für so kurze Zeit ins Ausland geht, ist schon etwas verrückt…“

Simone, 37, Hydrogeologin,
stammt aus München und lebt seit Anfang 2016 noch bis Frühjahr 2017 in Regina, Kanada.

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Urlaub in den Bergen

Das Interview mit Simone ist für mich ein ganz besonderes, da sie mit ihrer Familie nicht nur in Kanada lebt – sondern weil bei ihr, ebenso wie bei mir, die Entsendung ihres Mannes der Auslöser für die Entscheidung zum Umzug war.

„…auf das, was kam, war ich nicht vorbereitet…“

Dein Mann wurde von seinem Unternehmen nach Kanada entsendet, dennoch habt ihr die Entscheidung für den Umzug gemeinsam getroffen. Wie war es für dich, ins Ausland umzuziehen, was waren deine Bedenken vor der Abreise?

Wir haben davor lange in Australien gelebt, daher haben wir uns nicht allzu viele Sorgen wegen der Zeit in Kanada gemacht. Unsere einzige Sorge war, wie unsere Kinder die Umstellung – vor allem wegen der anderen Sprache – verkraften werden. Aber auf das, was kam, war ich nicht vorbereitet. Unser Ältester war damals etwa 2¾ Jahre. Er hat circa zwei Monate kaum gesprochen und Panikanfälle entwickelt, wenn ich den Raum verlassen habe. Das hat mich emotional sehr mitgenommen. Positiv wurde ich davon überrascht, dass es den Kleinen, der damals etwa 1 Jahr alt war, überhaupt nicht berührt hat.

Dass dein großer Sohn auf den Umzug so reagiert hat, war sicherlich sehr schwer für dich. Wie bist du bzw. wie seid ihr damit umgegangen?

Um ehrlich zu sein, konnten wir nicht viel machen. Wir haben versucht, dass er sich so geborgen wie möglich fühlt. Ich habe mir dann sehr viel Zeit für ihn genommen. Dafür hat es allerdings wirklich sehr viel Geduld gebraucht. Man muss die Panik ernst nehmen, gereizt reagieren macht alles nur noch schlimmer. 

„Da es hier unüblich ist, die Kleinen unter 18 Monaten in eine Kita zu geben, habe ich keine Kinderbetreuung für die beiden Kinder gefunden.“

Hast du dir eine Arbeit in Kanada gesucht, als die Eingewöhnung einigermaßen abgeschlossen war?

Ich war anfangs noch damit beschäftigt meine Dissertation zu beenden und wollte dann nach einer Teilzeitarbeit suchen.

Wie erfolgreich war die Stellensuche?

Da es hier eher unüblich ist, die Kleinen unter 18 Monaten in eine Kita zu geben, sind diese Plätze rar und ich habe keine Kinderbetreuung für die beiden Kinder gefunden. Dazu kam, dass unser Großer bis heute Panik bekommt, wenn er in eine Kinderbetreuung soll, auch wenn sich seine Verlustangst ansonsten größtenteils gelegt hat. Das ist auch einer der Gründe, warum ich ihm eine Eingewöhnung hier in der Kita nicht unbedingt antun möchte. Wir haben dann beschlossen, dass es für uns das Wichtigste ist, uns mit den Kleinen hier eine schöne Zeit zu machen. Das Unterhaltungsangebot für Kinder ist wirklich sehr groß.

„Für meine eigene Karriere ist der Aufenthalt hier nicht unbedingt förderlich.“

Du hattest gesagt, dass du anfangs noch an deiner Promotion gearbeitet hast. Wie hast du dir die Arbeitszeit freigeschaufelt, wenn deine Jungs nicht in der Kita waren?

Die Promotion habe ich hauptsächlich während des Mittagsschlafs sowie in Wochenend- und Nachtschichten fertig geschrieben, was nicht besonders viel Spaß gemacht hat.

Auch wenn es bei der Stellensuche nicht so geklappt hat, wie du dir das vorgestellt hast – welche Tipps kannst du anderen mitreisenden Familienangehörigen für die Suche nach Arbeit im Ausland geben?

Ich hatte Kontakt zu der örtlichen Geologischen Vereinigung aufgenommen und war sehr überrascht, wie hilfsbereit und interessiert alle waren.

Dein Mann wurde von seinem Unternehmen entsendet. Hast du dich als mitreisende Partnerin manchmal in eine Schublade gesteckt gefühlt?

Ja,  ich muss schon zugeben, dass man sich manchmal in einer Schublade fühlt. Für meine eigene Karriere ist der Aufenthalt hier nicht unbedingt förderlich. Ich habe schon mehrmals mit gemischten Gefühlen daran gedacht, ob ich im Anschluss auch zeitnah eine Anstellung finde. Auf der anderen Seite ist das Arbeitsleben ja recht lang, also denk ich mal, dass ich schon irgendwann etwas Gutes finden werde.

„Die Zeit in Kanada war für uns eine tolle Erfahrung…“

Deine Bedenken kann ich verstehen. Worin siehst du die Chance deines Aufenthaltes in Kanada?

Für mich persönlich ist es vor allem die Möglichkeit noch einmal ganz intensiv Zeit mit meinen Kleinen zu verbringen, auch wenn das manchmal etwas anstrengend ist. Soviel Zeit hätte ich mir in Deutschland sehr wahrscheinlich nicht gegönnt.

Nun neigt sich die Zeit ja bald dem Ende entgegen. Was war dein bisher tollstes Erlebnis hier?

Ich bin ein absoluter Bergmensch und unser Urlaub in den Rockies war fantastisch!

Was gefällt dir in Kanada besonders gut und worauf kannst du eher verzichten?

Ich liebe die multikulturelle Gesellschaft, den freien Himmel und die Offenheit der Kanadier. Der Winter hier gefällt mir allerdings nicht. Für die Kleinen wird es einfach häufig zu kalt, um noch etwas draußen unternehmen zu können.

„Hauptsache man macht das, was für die eigene Familie am besten ist.“

Könntest du dir vorstellen, länger zu bleiben?

Nein. Wir sind extra aus unserer Wahlheimat Australien zurück nach Deutschland gezogen, um näher an der Familie zu sein. Die Zeit in Kanada war für uns eine tolle Erfahrung, aber die Familie ist uns wichtiger.

Nach der Zeit in Australien war es sicher nicht einfach, Deutschland und eure Familien schon wieder für eine gewisse, wenn auch absehbare Zeit zu verlassen. Was vermisst du aus deiner Heimat?

Meine Familie und Freunde und die Kita, in der sich unser Großer wohl gefühlt hat.

War es einfach, hier in der Fremde neue Freunde zu finden?

Wir hatten unbeschreibliches Glück! Die Ehefrau eines Arbeitskollegen hat sich anfangs sehr um mich gekümmert und mir die besten Orte für Kinder in Regina gezeigt. Daraus hat sich eine gute Freundschaft entwickelt, über die ich sehr froh bin. Ansonsten haben wir vor allem mit anderen Expats, benachbarten Familien oder mit Eltern aus der Sportgruppe Kontakt.

Es heißt ja, Kanada und Deutschland seien sich sehr ähnlich. Hast du dennoch kulturelle Unterschiede festgestellt?

Ja viele. Der Lustigste für mich ist, dass man sich hier nur für etwa 1,5 bis 2 Stunden per Verabredung trifft, für ein Abendessen eventuell mal 3 Stunden. Länger wird als unhöflich empfunden. Darüber habe ich mich anfangs sehr gewundert und davon hatte ich auch noch in keinem Buch oder Vorbereitungskurs gehört.

Welchen wichtigen Hinweis hast du an zukünftige Expats und ihre mitreisenden Angehörigen?

Pläne sind dafür da, verändert zu werden. Hauptsache man macht das, was für die eigene Familie am besten ist.

Was macht deine Expat-Geschichte so besonders?

Ich denke, dass man mit der gesamten Familie für so kurze Zeit ins Ausland geht, ist schon etwas verrückt, und macht vielleicht nicht in jedem Fall Sinn. Um zu vermeiden, zu sehr zwischen den Welten zu leben, haben wir uns für einen Vollumzug entschieden. Wir haben von Anfang an versucht, so schnell wie möglich anzukommen und alles mitzunehmen, was die Stadt und das Land zu bieten hat. Ich denke, das war eine gute Idee.

Würdest du jederzeit wieder mit Sack und Pack ins Ausland ziehen oder würdest du dich zukünftig für ein anderes Modell entscheiden?

Nein, ich bereue die Entscheidung nicht. Die Alternative wäre für uns höchstwahrscheinlich flyin-flyout gewesen. Ich weiß aus Erfahrung, wieviel Stress das für eine Partnerschaft sein kann.

Wie geht es nach deiner Abreise weiter?

Ursprünglich hatte ich mich bereits von hier aus auf verschiedene Stellen beworben, aber jetzt erwarten wir noch ein Kind.

Dafür wünsche ich dir und deiner Familie alles Gute und vor allem eine sichere Rückkehr nach Deutschland. Herzlichen Dank für das Interview und die ehrlichen Einblicke in das Leben als mitreisende Partnerin!

[Die Photos sind Eigentum der Interviewten.]

>>> Hier entlang für alle bisherigen Interviews!

8 Gedanken zu “Expat Talk #4: „…dass man mit der gesamten Familie für so kurze Zeit ins Ausland geht, ist schon etwas verrückt…“

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  7. Es ist immer wieder interessant zu sehen, wie verschieden das Leben in den Provinzen Kanadas ist. Hier in Québec ist es doch sehr verbreitet, seine Kinder in die Garderie (Kita) zu geben und eigentlich auch kein Problem. In der Schweiz hingegen war es gar nicht möglich (finanziell und platztechnisch).
    So eine Auswanderung ist immer ereignisreich 😉

    Deine Seite ist wirklich interessant!
    Noch einen schönen Tag, Andrea

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