
Chicago – Bootstour mit Hancock Tower im Hintergrund
Daniela, 36, Personalreferentin,
stammt aus Kassel und war ohne ihren Partner von 03/2010 bis 10/2011 in Chicago, USA.
„Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, wieso dies keiner machen will …“
Was war dein tollstes oder lustigstes Erlebnis während der Entsendung?
Ich kann gar nicht ein einziges Erlebnis benennen, es gab soo viel Tolles und Lustiges – ich denke so gerne an die Zeit zurück.
Es fing aber bereits sehr lustig an: ich musste meine Wohnung neu einrichten (unsere deutsche Wohnung blieb ja bestehen, so dass ich kaum etwas mitnehmen konnte) und Ikea sei Dank, bin ich mit einer Freundin losgefahren. Leider nur das erste Mal in einem Automatik-Auto, dann noch ein Ford Mustang OHNE Navi in einer vollkommen fremden Stadt.
Ich hatte mir vorher die Route auf Google-Maps angeschaut und auch ausgedruckt, aber auf achtspurigen Autobahnen ist es gar nicht so leicht, den Überblick zu behalten – mit einem ungewohnten Auto. Da auch die Ausfahrtschilder nicht den Ort benennen, sondern nur die Himmelsrichtung, war ich komplett verwirrt. Ich musste auf einen Highway links auffahren und gleich die nächste rechts wieder runter. Das Ganze hat ca. 3 Anläufe gebraucht, bis wir es geschafft hatten.
Hast du gezögert, bevor du dich für die Arbeit im Ausland entschieden hattest?
Da ich selbst zuvor im Expat-Management gearbeitet habe, wusste ich sehr gut, was auf mich zukommt. Als die HR-Stelle besetzt werden sollte, habe ich mich die ganze Zeit gefragt, wieso dies keiner machen will – eine einzigartige und spannende Herausforderung. Da ich schon während der Studienzeit ein Jahr im Ausland war, war ich nicht direkt auf die Idee zu kommen, dies nochmal zu wagen – aber es war so verlockend und mein Mann hat mich bestärkt. Ich wusste, ich kann mich gut in neue Situationen einfinden und auch mein Englisch ist entsprechend sicher, dass ich mich zurechtfinden würde.
Was waren deine Bedenken und haben sich diese bestätigt?
Das Heimweh und der zuhause gebliebene Ehemann machten mir meine Entscheidung nicht leicht. Aber ich hatte so viel im Job zu tun, meine Wohnung einzurichten und die Stadt zu entdecken, das hat mich sehr abgelenkt. Meine liebe Familie konnte ich aufgrund des üppigen Heimflugbudgets und einiger Dienstreisen auch regelmäßig sehen und Skype wurde unser neues Kommunikationsmittel.
Bist du länger als ursprünglich geplant geblieben?
Nein, ich habe sogar etwas verkürzt, weil mein Mann ein sehr gutes Jobangebot in Kassel bekommen hat und er dadurch leider nicht nachkommen konnte – wie wir ursprünglich geplant hatten.
„…wann lebt man schon mal im 44. Stock?!“
Was hat dir in Chicago besonders gut gefallen?
Das City-Leben direkt am Strand bzw. Wasser. Ich hatte mich bewusst für eine tolle Wohnung in Downtown entschieden – wann lebt man schon mal im 44. Stock?! Das war der perfekte Ausgangspunkt für alle Erledigungen und Ausflüge, Konzerte und Shoppingtouren. Chicago ist so vielfältig und bietet viel Kunst und Museen, zahlreiche kostenfreie Konzerte im Park oder auch Open-Air Kinos, die man fast täglich besuchen kann. Jeder kleine Stadtteil hat eigene Stadtteilfeste, die liebevoll organisiert wurden. Man kann zig Sportevents besuchen (Baseball, Basketball, Eishockey etc.) und die Restaurant-Vielfalt ist einmalig.
…und was hat dir in Chicago gar nicht gefallen?
Die fehlenden Jahreszeiten. Es gab eigentlich kaum Frühling und Herbst. Einen Tag ist man noch in Flipflops herumgelaufen und am nächsten Tag musste man die Daunenjacke herausholen. Es war teilweise echt eisig kalt im Winter, gerade weil ich zu Fuß ca. 20 Minuten an die Arbeit gelaufen bin, aber mit einer Skihose und dicker Daunenjacke war es gut auszuhalten. Zumal die Downtownarea komplett mit einem unterirdischen Gangsystem ausgestattet ist – der ist zwar etwas verzweigt, aber so konnte ich dann doch im Warmen das Büro erreichen.
„…eigentlich besteht jede kleinere Stadt aus McDonalds, Starbucks und Discounter.“
Was aus deiner Heimat hast du vermisst?
Einfach mal zum Bäcker gehen und ein Körnerbrötchen kaufen. Es gab zwar eine Austrian Bakery, aber die war nur leider etwas weiter weg. Leckere Ahle Wurscht aus meiner nordhessischen Heimat. Natürlich insbesondere meine Familie und Freunde, die mich zwar teilweise auch besucht haben, aber so regelmäßig wie gewünscht konnte ich sie leider nicht sehen. Meiner Meinung nach fehlt es in den USA an Gemütlichkeit, einfach mal entspannt im Restaurant sitzen ist fast unmöglich, weil man sofort nach dem Abräumen direkt nach der Rechnung gefragt wird. Es gibt auch kaum gewachsene, kleine ‚Altstädte‘ mit kleinen Geschäften zum Bummeln – eigentlich besteht jede kleinere Stadt aus McDonalds, Starbucks und Discounter.
„Leider sind die Amerikaner tatsächlich etwas verschlossener bzw. oberflächlicher.“
War es einfach, neue Freunde zu finden?
Ich hatte den Vorteil, mit einer größeren Expat-Gruppe verschiedener Altersstufen entsandt zu werden. Auch einige in meinem Alter waren dabei und somit hatte ich gleich Anschluss. Die ungewohnte Situation in einer fremden Stadt schweißt zusammen, auch wenn es nicht immer hundertprozentig von den Vorlieben und Einstellungen gepasst hat. Da es in Chicago auch eine große deutsche Community gibt, konnte man aufgrund diverser Stammtische und Veranstaltungen auch darüber Kontakte knüpfen. Leider sind die Amerikaner tatsächlich etwas verschlossener bzw. oberflächlicher. Es gab viele nette Kontakte und auch mal gemeinsame Aktivitäten, aber das war nie tiefergehend. Dies ging leider meinen Kollegen auch so.
Gab es kulturelle Unterschiede?
Ja die gibt es. Im Berufsleben sowie auch privat. Aber das kann man wahrscheinlich auch nicht pauschal sagen. Meiner Erfahrung nach sind die Menschen eher ‚kurzlebiger‘ – als ich zum Beispiel erzählte, dass wir ein Haus bauen wollen, waren alle irritiert. In den USA ist es eher üblich, ein Haus zu kaufen und in der Regel auch nach ein paar Jahren wieder zu verkaufen. So ist es ja auch im Job – innerhalb von 2 Wochen kann man gehen, wenn man etwas Besseres gefunden hat. Es scheint eine permanente Suche nach Neuem/Besseren zu sein.
„Man sollte nicht immer nur auf das ‚Package‘ schauen…“
Worin siehst du im Nachhinein die Chance deines Aufenthaltes in den USA?
Ich konnte mich natürlich einerseits fachlich weiterentwickeln – ich habe so viel gelernt über internationale Personalarbeit (weil auch Kanada und Südamerika zu meinem Bereich gehörten), habe viel mehr Verständnis für deren Bedürfnisse und Probleme vor Ort. Aber im Nachhinein war es eher der persönliche Aspekt, der mich bereichert hat. Ich bin viel selbstbewusster geworden – zu wissen, das gemeistert zu haben, hat mich gestärkt und hilft mir nun auch beruflich sowie privat weiter.
Wie ging es nach deiner Abreise weiter?
Da ich in engem Kontakt mit meiner ehemaligen Chefin geblieben bin und ich sowieso nicht sehr lange entsandt war, konnte ich problemlos in meine alte Abteilung integriert werden – im Bereich Internationale HR-Koordination. Dafür war meine Auslandserfahrung natürlich sehr wertvoll und ich behielt den Kontakt zu den ausländischen Kollegen.
Welchen wichtigen Hinweis hast du an zukünftige Expats?
Man sollte nicht immer nur auf das ‚Package‘ schauen – was also bringt die Entsendung finanziell. Das sollte nicht der Grund sein, weshalb man eine Entsendung antritt, denn sonst wird man schnell enttäuscht. Natürlich sollte man nicht schlechter gestellt werden, aber dafür ist in aller Regel gesorgt. Für mich war es wirklich eher die persönliche Erfahrung, die neue Umgebung und die eigene Entwicklung, die mir wichtig waren – wenn man es noch mit seiner Familie gemeinsam machen kann, umso schöner.
Was macht deine Expat-Geschichte so besonders?
Im HR Bereich ist es eher unüblich, eine Entsendung angeboten zu bekommen. Es sind bei uns eher die Techniker oder Vertriebler, deren Knowhow weltweit ausgetauscht werden soll. Personalarbeit ist lokal doch so unterschiedlich und daher ist es eher unüblich, eine solche Chance zu bekommen. Daher hatte ich ja auch so große Lust, dies auszuprobieren und bin froh, es mit viel Unterstützung von Familie und Freunden gemacht zu haben.
Herzlichen Dank für das Interview!
[Die Photos sind Eigentum der Interviewten.]
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