Aus dem Tagebuch eines Expatriates… – Teil 1

In einem halben Jahr sitze ich im Flieger zurück nach Deutschland, während der Container mit unserem Hab und Gut noch über den Ozean schippert. Dieses Mal mit einem Familienmitglied mehr im Gepäck, um wundervolle Erfahrungen reicher, den Kopf voller Erinnerungen, den Computer gefüllt mit Tausenden Fotos und voller Vorfreude auf den Neustart bzw. die Rückkehr ins „Alte“, das sich bereits jetzt so neu und irgendwie anders anfühlt.

Je näher der Abschied rückt, umso mehr schwelge ich in Erinnerungen an die Zeit, in der das Abenteuer Kanada für meine Familie und mich startete… Es kommt mir vor, als wäre es erst gestern gewesen und gleichzeitig fühlt es sich ewig an. Meine Erinnerungen habe ich in Tagebuchform verewigt. Hier der erste Teil:

Expat in Kanada – Von der Idee bis zum Abschied

Februar 2016.

Ich sitze in meinem Büro an der Universität Kassel, auf einmal klingelt mein Telefon. Ich höre es bereits an der Stimme meines Mannes, da warten aufregende Neuigkeiten. „Mein Chef kam gerade in mein Büro und hat mich gefragt, ob wir uns vorstellen könnten, für drei bis fünf Jahre nach Kanada zu gehen.“ Sofort beginnt mein Herz zu klopfen, vor Freude, vor Aufregung. „Klar, wir wollten doch immer nochmal ins Ausland gehen,“ sage ich. Nach dem Telefonat beginnt mein Kopf, Achterbahn zu fahren:

‚Meinen Job will ich sowieso wechseln. Aber ich habe doch übermorgen ein Vorstellungsgespräch für eine neue Stelle? Da kann ich ja gleich absagen oder soll ich trotzdem hingehen? Was ist mit dem Haus, wir haben es doch erst vor einem halben Jahr gekauft? Wie werden unsere Familien reagieren? Was mache ich dann dort? Suche ich mir einen Job oder bilde ich mich weiter? Gleich mal googeln, okay, es gibt interessante Firmen, eine Uni haben sie auch. Das wird sich schon finden. Und ein Baby, wir wollten doch noch ein zweites Kind, passt das in der Zeit? Doch dann kann ich mir ja keinen Job mehr suchen? Egal, bisher hat doch immer alles irgendwie geklappt. Wie aufgregend. Meine Hände zittern. Erstmal raus aus dem Büro und einen Kaffee holen.‘

Trotz der unterschiedlichen Gedanken, die mir in diesem Moment durch den Kopf rasen, stelle ich mir nicht einmal die Frage nach dem „Ob“, sondern immer nur nach dem „Wie“. Für mich ist sofort klar, dass wir uns als Familie in dieses Abenteuer stürzen.

Nachdem wir der Firma meines Mannes grünes Licht geben, läuft die nächste Zeit ab wie im Film. Irgendwie surreal, als würde ich von außen auf mein eigenes Leben blicken.

März 2016.

Die erste Euphorie ist in den letzten Wochen verflogen. Was wird aus mir? Neue Bewerbungen, neue Stelle, endlich der Traumjob?

Insgeheim wünsche ich mir bestimmt zwei Monate lang, dass mein Mann mit den Worten nach Hause kommt: ‚Es hat sich erledigt, das wird doch nichts.‘ Die nächsten Wochen sind eine Achterbahn der Gefühle zwischen „Es wird wundervoll, wir werden eine tolle Zeit verleben.“ und „Na super, mal wieder muss ich zurückstecken. Wieder ein Umzug, der dazu führt, dass ich meine Pläne ändern muss.“

In dieser Zeit kochen die Emotionen zwischen mir und meinem Mann nicht nur einmal hoch… Doch im Laufe der Zeit spüre ich mehr und mehr, dass nun genau der Umbruch kommt, den ich brauchte und mir gewünscht hatte – wenn auch unerwartet und auf andere Weise. Ich freue mich immer stärker auf das, was kommt. Ich kann mich umorientieren, neue Erfahrungen im Ausland sammeln (auch berufliche). Definitiv ein Pluspunkt für meinen weiteren Weg. …und dass wir erneut umziehen, bedeutet definitiv nicht, dass ich meine eigenen Wünsche und Ziele komplett zurückstelle.

Was mir in dieser Zeit hilft, ist die Aussage meines Mannes „Wenn du nicht willst, dann bleiben wir hier.“ Doch das will ich gar nicht – ich habe „Hummeln im Hintern“ und bin gedanklich schon halb in Kanada. Nur meine eigene Rolle in dieser Geschichte musste ich erst einmal für mich finden…

Mai 2016.

In mir kribbelt es schon seit Langem und der Wunsch nach einem Umbruch ist ja bereits seit Jahresbeginn da. Die Anfrage, ins Ausland zu gehen, hat mir nun den notwendigen Tritt in den Hintern gegeben: Die Geburtsstunde von „Karrierepfade“ ist gekommen und ich stelle meinen ersten Beitrag auf meiner Facebookseite online. Die Arbeit daran motiviert mich jeden Tag aufs Neue, denn in meinem Job an der Uni fühle ich mich schon seit längerem nicht mehr wohl. Ich mache Pläne, in welche Richtung ich meine Arbeit und die Selbstständigkeit entwickeln möchte, bin ganz aufgeregt und voller Zuversicht. Das Gefühl der letzten Wochen, zurückstecken zu müssen und weniger wert zu sein, ist verflogen. Meine eigene (berufliche) Perspektive erfüllt mich mit Energie, Fröhlichkeit und Euphorie.

Juli 2016.

Wir machen es offiziell und erzählen immer mehr Freunden von unserer Auswanderung auf Zeit. Ich bin voller Tatendrang und freue mich bedingungslos auf das Abenteuer. Es fühlt sich bereits jetzt schon besonders an. In dieser Zeit veröffentliche ich „Auf nach Kanada? – Teil 1“ sowie „Auf der Suche nach der Nadel im Heuhaufen – Jobsuche in Kanada“.

An meine Familie schreibe ich kurz darauf:

„Ihr wisst ja, dass ich mich beruflich verändern und auch selbst verwirklichen will. In den vergangenen Wochen und Monaten hat sich – auch durch die Kanada-Ankündigung – für mich natürlich einiges verändert und ich bin mehr oder weniger intensiv dabei, meine eigene berufliche Zukunft zu planen, zu gestalten und meinen Weg zu ebnen. Ein erster Schritt in diese Richtung sind zwei Seiten, die ich mir gerade im Internet aufbaue: www.karrierepfa.de und www.facebook.com/karrierepfade/

Ich schreibe dort über Themen der Personalauswahl und -entwicklung…und es macht mir gerade unheimlich viel Spaß, mich in diese Themen einzulesen, mich mit anderen darüber auszutauschen und selbst Beiträge zu verfassen. Und natürlich geht es auf den Seiten auch um Auslandentsendungen, denn das ist ja ein ganz spannender Bereich in der Personalentwicklung, in den wir gerade selbst tief eintauchen.“

September 2016.

Die Wochen und Monate plätschern so dahin. Denn obwohl eine einschneidende Veränderung für meine Familie ansteht, geht der Alltag ganz normal weiter. Dennoch beginnen mein Mann und ich, unsere 2,5-jährige Tochter stärker in den Umzug nach Kanada einzubeziehen und machen immer wieder kleinere Anspielungen.

Ich bin ziemlich geplättet, als sie eines Nachmittags völlig unvermittelt zu ihrer Freundin sagt: „Ziehen nach Kannnnada“. Es kommt wie aus dem Nichts und ich frage mich, inwieweit sie die Tragweite dieses Umzugs begreift.

Oktober 2016.

Ich beginne, Freunde und Bekannte, die eine Zeitlang im Ausland gelebt haben, intensiv zu interviewen und veröffentliche mehrere Expat-Talks.

…und endlich wird das, worüber wir in den letzten Monaten gesprochen und philosophiert haben, greifbarer: Mein Mann und ich steigen ins Flugzeug und machen uns auf zum Look and See-Trip nach Windsor, Ontario, Canada.

Welcome to Windsor „The Place to Be!“

Die Stadt ist auf den ersten Blick nichts Besonderes, aber immerhin schön gelegen an einem Fluss und See, eine halbe Stunde vom Eriesee entfernt. Im Stadtzentrum viel Leerstand, Jahre vorher hatte es eine große Krise gegeben, nicht nur in Windsor, sondern auch in der Nachbarstadt Detroit. Beide Städte sind bekannt für die Automobilindustrie und hatten einen Riesen-Einbruch durchgemacht. Die Folge: Arbeitslosigkeit, Geschäfte schlossen, Menschen wanderten ab.

Als ich Windsor im Oktober 2016 besuche, ist dieser Tiefpunkt bereits überschritten, langsam kommt wieder Leben in die Region. Und obwohl Windsor noch einen Weg vor sich hat, sehe ich sofort die vielen schönen Dinge in der Stadt: das viele Grün, tolle Parks direkt am Fluss und in der ganzen Stadt verteilt, eine spannende Künstlerszene, gemütliche Cafés und Restaurants, freundliche Bewohner. Ich achte auch auf Familienfreundlichkeit und bin begeistert von den vielen Angeboten für Familien und Kinder, den kreativen und vielseitigen Spielplätzen.

Schon am zweiten Tag sage ich zu meinem Mann, dass ich mir gut vorstellen kann, hier für einige Zeit zu leben.

Die Erfahrungen dieser fünf Tage überschreibe ich mit den Worten „Eine Reise der anderen Art…“ und gestalte anschließend für meine Tochter ein Bilderbuch, das sie auf ihre neue Heimat einstimmen soll: „Waschbär erkundet Kanada“.

Dezember 2016.

Als ich mein Jahresfazit ziehe und mir überlege, mit welchem Ziel ich in das Jahr gestartet bin, muss ich etwas schmunzeln. Für 2016 hatte ich mir vorgenommen, mich beruflich zu verändern, mich umzuorientieren und meinem Traumjob nachzu“jagen“. Im Januar hatte ich drei Bewerbungen verschickt, im Februar die ersten zwei Vorstellungsgespräche absolviert. Was dann kam, war aber nicht die Jobzusage für mich, sondern das Entsendungsangebot für meinen Mann.

Stünde ich nicht kurz vor dem Umzug nach Kanada, hätte ich manches in diesem Jahr anders gemacht und es hätte sich manches auch anders entwickelt. Aber vermutlich hätte ich dann nicht so viel über mich, meine eigenen Wünsche und Ziele erfahren. Weil ich mich im Frühjahr aufgrund des anstehenden Umzugs dazu entschlossen habe, mich von meinen (beruflichen) Interessen treiben zu lassen (wann, wenn nicht jetzt?), hat sich bei mir in diesem Jahr so viel getan wie in den letzten drei Jahren nicht mehr. Nein, ich habe – vor allem aufgrund der Umzugspläne – mein berufliches Ziel für 2016 nicht erreicht. Aber ich habe etwas viel Wichtigeres gelernt:

Egal, was kommt, ich bin flexibel genug, andere Pläne zu schmieden. Es gibt nicht den einen Plan und das eine Ziel. Es gibt viele Möglichkeiten.

Als Weihnachtswunder halte ich nicht nur einen positiven Schwangerschaftstest in der Hand, sondern auch ein weiterer insgeheimer Wunsch geht in Erfüllung: ein Redakteur wurde auf meine Arbeit aufmerksam und hat mich als freie Autorin angefragt. Somit habe ich noch vor der Abreise nach Kanada ein freiberufliches Autoren-Schmankerl gefunden, das ich dann im Ausland weiterführen kann. Und ich habe wieder einmal gemerkt, wie ich selbst es in der Hand habe, meine Ziele zu verwirklichen.

Januar 2017.

Die für Januar geplante Ausreise verzögert sich. Meinen Arbeitsvertrag an der Universität hatte ich nicht verlängert, da wir eigentlich im Januar umziehen wollten. Mittlerweile habe ich erste Aufträge als freie Autorin und jeden Tag erwarten wir die Nachricht über den Umzugstermin.

Dennoch muss ich mich nach deutschem Recht bei der Agentur für Arbeit melden. An diesem Tag fühle ich mich sehr schlecht und erzähle außer meiner Familie niemandem von diesem Termin. Komisch, dass mir das so unangenehm ist…

Vermutlich liegt das auch daran, dass ich in den letzten Monaten immer wieder gefragt werde, wie das für mich ist, ins Ausland „nur mitzugehen“. Ich störe mich an diesen Fragen und es frustriert mich zunehmend. Schließlich bin ich nicht nur ein Anhängsel und reise nicht einfach nur mit. Nach Kanada zu ziehen war eine gemeinsame Entscheidung meines Mannes und mir. Meine Meinung dazu formuliere ich in „Nein, ich bin nicht die nur mitreisende Frau!“

Februar 2017.

Obwohl der Umzugstermin immer noch nicht feststeht, beginnt die Zeit der letzten Male. Unruhe macht sich in mir breit, denn ich plane und organisiere gern. Doch momentan sind mir die Hände gebunden. Deutlich mehr zu schaffen macht die Frage nach dem Umzugsdatum der Familie und Freunden – sie sind überrascht, wie entspannt wir trotz aller Ungewissheit den nahenden Frühling genießen. Eine Vermutung haben wir dennoch, wann es in etwa losgehen wird, daher laden wir Freunde und Nachbarn bereits zu einer Abschiedsfeier ein: „Tschüß Deutschland“ – Die Zeit der letzten Male.

Noch ein Zeichen dafür, dass es bald losgeht: Die zukünftigen kanadischen Kollegen sind zu Besuch in Kassel. Wir laden sie zum Dinner bei uns ein und verbringen einen gemütlichen Abend. Ein besonderes toller Moment ist es, als mich der zukünftige Chef meines Mannes zur Seite nimmt und sich bei mir bedankt, dass ich den Umzug nach Kanada ermögliche. Das ist eine Wertschätzung meiner Person als gleichberechtigten Teil unserer Entscheidung, die mich sehr stolz macht und freut.

März 2017.

Endlich ist der Termin beim Konsulat in Frankfurt gekommen, um das Visum für die USA zu beantragen – die letzte organisatorische Hürde. Wir sind ganz schön aufgeregt, dabei ist der Termin unkritisch. Das „Interview“ dauert gerade einmal drei Minuten und wir fragen uns im Nachhinein „Das soll es jetzt wirklich gewesen sein?“ Wir verbringen noch einen entspannten Nachmittag in Frankfurt, denn wir wissen: die nächsten Tage und Wochen werden aufregend, turbulent und anstrengend.

Eine Last fällt von uns ab. Ich atme tief durch und merke, jetzt wird es ernst. Alles, worüber wir in den letzten Monaten gesprochen haben, wird nun in die Tat umgesetzt. Wieder habe ich das Gefühl, alles läuft automatisch ab und ich beobachte nur von außen. Doch es ist ein gutes Gefühl, eine kribbelige Spannung auf das, was kommt…

Nun geht alles ganz schnell: mein Mann bucht seinen Flug nach Kanada für April, um schon einmal in Windsor in den Alltag zu starten und organisatorische Dinge zu klären. Meine Tochter und ich werden im Mai nachkommen, denn ich kümmere mich um den Umzug in Deutschland:

Was bleibt in Kassel? Was muss in den Container, welche Dinge in die Luftfracht? Fast jeden Tag telefoniere ich mir die Ohren heiß, um Versicherungen zu kündigen, Ersatzversicherungen und Anwartschaften abzuschließen etc. Dazu kommt noch die emotionale Komponente, die Abschiede von der Familie und von Freunden. Tränen der Freude und aus Aufregung…

Ob alles glatt geht und wie die erste Zeit in Kanada wird? Darum geht es im nächsten Teil.

Dieser Beitrag war ein persönlicher Einblick in meine eigene Geschichte, meine Gedanken und Gefühle vor dem Umzug ins Ausland. Warum ich das mit dir teile? Neuanfänge, Umbrüche und Veränderungen gehen oftmals mit einem Wechselbad der Gefühle einher. Auch wenn die Grundeinstellung positiv ist, so gibt es doch bei vielen Menschen einen Moment des Zweifels oder der Unsicherheit – manchmal nur für einen Bruchteil einer Sekunde, manchmal dauert es länger.

Freunde, Bekannte sowie Klienten berichten mir regelmäßig von ihren Zweifeln und Ängsten, von Trauer oder Unsicherheiten, die sie während geplanter oder bereits erfolgter Veränderungen ihres Wohnorts, Jobs oder anderen Umbrüchen im Leben bemerken. Das ist menschlich, zeigt es lediglich, dass wir unsere Situation aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten und uns ein realistisches Bild machen wollen. Durch meine Umzüge innerhalb Deutschlands aber auch durch den Neuanfang im Ausland habe ich vor allem eines gelernt: Es kommt auf die Einstellung an.

Wenn man an sich selbst und seine Entscheidung glaubt, seinen eigenen Fähigkeiten vertraut und ein Maß an Offenheit für Neues und Unbekanntes mitbringt, wird man dies in der Regel nicht bereuen.

Viele Grüße aus Kanada, Susan

P.s.: Du hast im Moment das Gefühl, in einer Entscheidung festzustecken, oder bist unsicher, wie es im Ausland oder mit deiner Karriere weitergehen soll? Melde dich, ich bin gerne für dich da!

2 Gedanken zu “Aus dem Tagebuch eines Expatriates… – Teil 1

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