Aus dem Tagebuch eines Expatriates… – Teil 2

Im Mai 2017 zog ich als Expatpartnerin von Deutschland nach Kanada, mein Mann war bereits vor Ort in Windsor und organisierte Haus, Auto und co., während ich in Kassel gemeinsam mit unserer damals dreijährigen Tochter den Umzug in die Wege leitete. In dieser Zeit war ich schwanger mit dem zweiten Kind, heute wiederum – im Jahr 2020 und kurz vor dem Umzug zurück nach Deutschland – herrscht eine weltweite Pandemie.

Beide Umzüge werden definitiv in Erinnerung bleiben…

Deutsche im Ausland zuhause – Expat in Kanada

Kürzlich hatte ich bereits über die Entscheidung des Auswanderns auf Zeit und die dazugehörige Achterbahn der Gefühle berichtet: Aus dem Tagebuch eines Expatriates… – Teil 1. Heute beantworte ich eine weitere Frage, die mir sehr häufig gestellt wurde:

Wie ist das so in den letzten Wochen vor einem Übersee-Umzug?

Die letzte Hürde – Visa für die USA

Mitte März 2017.

Endlich ist der Termin beim Konsulat in Frankfurt gekommen, um das Visum für die USA zu beantragen – die letzte organisatorische Hürde. Ins Gebäude darf man nichts mit reinnehmen, vor allem natürlich kein Handy. Dabei würde ich diesen Prozess nur allzu gern dokumentieren. Ich hätte nicht erwartet, dass die Kontrolle beim Betreten des Konsulats noch gründlicher als am Flughafen ist. Da mein Mann und ich mit unserer Dreijährigen kommen, werden wir vorgelassen.

Meine Hände sind schwitzig und ich bin etwas nervös, dabei ist der Termin unkritisch. Die drei Schalter inklusive der dazugehörigen Warteschlangen haben wir innerhalb von einer halben Stunde abgearbeitet. Einzige kleine Schrecksekunde: mein Passfoto wird nicht akzeptiert. Doch natürlich gibt es auch für diese Fälle eine Schlange – diesmal vor dem Passbildautomaten. Das „Interview“ dauert anschließend gerade einmal drei Minuten und wir fragen uns im Nachhinein „Das soll es jetzt wirklich gewesen sein?“

„Have a great trip“ – die US-Visa sind da

Doch dann geht alles ganz schnell, bereits fünf Tage später halten wir die Pässe mit unseren US-Visa in den Händen.

(Anm.: Man braucht natürlich kein US-Visum, um in Kanada zu leben und zu arbeiten. Da mein Mann aber oft in den USA unterwegs ist und wir außerdem fünf Minuten von der US-Grenze wohnen, wurde das in unserem Fall so gemacht.)

Nun können wir endlich unsere Flüge nach Kanada buchen und müssen als Antwort auf die unzählige Male gestellte Frage „Wann geht es los?“ nicht mehr nur mit den Schultern zucken. Mein Mann fliegt bereits zwei Wochen später, unsere Tochter und ich dann Anfang Mai.

Ende März 2017.

Eine letzte gemeinsame Reise mit meinem Mann von Kassel in die sächsische Heimat, Verabschiedung von Familie und Freunden. Es kribbelt im ganzen Körper – dieses Gefühl kann ich nicht in Worte fassen.

Was vor mir und meiner Familie liegt, fühlt sich besonders an. Traurig bin ich nicht, im Gegenteil. Während der ein oder andere, von dem ich mich verabschiede, ein Tränchen verdrückt, bin ich voller Tatendrang, in Vorfreude auf das Neue und regelrecht euphorisch. Außerdem ist es nur ein Abschied auf Zeit, denn aus unterschiedlichen Gründen ist ein erster längerer Heimatbesuch bereits für Juli geplant.

In dieser Zeit schreibe ich „Expats auf dem Sprung – Musik sagt mehr als 1000 Worte.“

Zwischen zwei Welten – der Mann in Kanada, ich in Deutschland

Anfang April 2017.

Mit drei Monaten Verspätung (Anm.: eigentlich sollte der Umzug im Januar sein, jedoch sind Verzögerungen bei Auslandsentsendungen keine Seltenheit) ist der große Tag endlich da. Ein großer Koffer, eine Reisetasche, Laptop und Rucksack – mehr hat mein Mann nicht im Gepäck, als wir ins Auto steigen. Noch schnell ein Familienselfie für das Fotoalbum vor dem Haus. Gemeinsam bringen mein Mann und ich unsere Tochter in die Kita, dann geht’s zum Zug.

Die Gewissheit, sich jetzt einen Monat lang nicht zu sehen, fühlt sich eigenartig an. Wir beide realisieren, wieviel Arbeit in den nächsten Wochen vor uns liegt. Emotionalität macht sich breit. Doch dann kommt der Zug und es ist an der Zeit, sich zu verabschieden. „Wir sehen uns in der neuen Heimat,“ sage ich noch. Dann schließen sich die Türen des Zuges und das Abenteuer beginnt. Ich atme tief durch und lege an diesem Tag die Füße hoch, bis es Zeit ist, meine Tochter aus der Kita zu holen. ‚Morgen ist auch noch ein Tag,‘ sage ich mir.

An diesem Tag melde ich mich bei Instagram an, nach langem hin und her entscheide ich mich für den Accountnamen within2worlds – „inmitten bzw. zwischen zwei Welten“, was für mich persönlich das Leben als Expat ganz gut beschreibt.

Mitte April 2017.

In den nächsten Wochen geht es ans Eingemachte. Ich sortiere den gesamten Hausrat nach „Container“, „Luftfracht“, „Reisegepäck“ und „bleibt in Kassel.“ Das geht ganz schön an die Substanz, ich gönne mir zwar regelmäßig Pausen, aber vor 1 Uhr nachts bin ich nie im Bett. Noch dazu telefoniere ich mir täglich die Ohren wund, denn trotz der großartigen Unterstützung durch das entsendende Unternehmen gibt es Vieles, um das ich mich selbst kümmern muss.

Die letzten Wochen vor dem Umzug – ohne Telefon und ToDo-Liste geht nichts

Früher hatte ich immer den Drang, alles alleine schaffen zu wollen, doch ich habe gelernt, dass es kein Zeichen von Schwäche ist, sich Unterstützung zu suchen. In diesen Wochen nehme ich gerne die angebotene Hilfe der Familie an, damit auch die Schwangerschaft weiterhin ruhig verläuft.

Meine Dreijährige macht die Trennung vom Papa gut mit – sie klebt jeden Tag einen Aufkleber auf einen Kalender. Hier habe ich viele Kleinigkeiten eingetragen, auf die sie sich in den nächsten Wochen bis zu unserem Abflug freuen kann. Außerdem schicken wir täglich viele Bilder zwischen Kanada und Deutschland hin und her und telefonieren natürlich oft. Trotz ihres großen Verständnisses schwanken ihre Gefühle in diesen Wochen täglich von „Warum dauert das denn noch so lange?“ über „Ich freue mich auf Kanada“ bis hin zu „Ich will nicht umziehen.“ Wir sprechen viel darüber und ich ermutige sie, die Gefühle zuzulassen.

Die Zeit des Übergangs fasse ich ein Jahr nach dem Umzug in diesem Beitrag zusammen: Karriere ohne Grenzen – und die Familie kommt mit.

Nun geht es los…

Ende April 2017.

Verabschiedung in der Kita und von den besten Freunden in Kassel. Eine gute Freundin fällt mir mit feuchten Augen in die Arme und sagt mir, wie sehr sie mich vermissen werde. Ich bin sehr gerührt und hoffe, dass die drei folgenden Jahre unsere Freundschaft eher stärken und wir nicht auseinanderdriften.

Mit meiner Tochter schließt nun die zweite in der Familie die Haustür hinter sich, denn für sie geht es noch einige Tage zu den Großeltern nach Sachsen, damit ich in Ruhe den Umzug abschließen kann:

Tschüss Container, wir sehen uns in 5 Wochen

…der Container kommt. Die wochenlange Vorbereitung hat sich gelohnt, die vier Packer sind in 1,5 Tagen mit allem fertig. Ich stehe auf der Straße und blicke dem davonfahrenden Container hinterher. Jeder, der das einmal mitgemacht hat, kann diese positive Aufregung bestimmt nachfühlen. Gleichzeitig fühle ich mich leer und müde. Der nächste große Meilenstein ist geschafft!

Anfang Mai 2017.

Einige Tage später wuchte ich den schweren Koffer aus dem Haus und schließe die Tür hinter mir ab. Der Nachbar schräg gegenüber winkt mir nochmals zu und fragt „Na Frau Höntzsch, nun geht es wohl los?“ Nach einem kurzen Plausch steige ich ins Auto, das ich am Bahnhof an die Kollegen meines Mannes übergebe.

Kurz vor der Abfahrt meines Zuges treffe ich mich noch mit einer Freundin auf einen Kaffee. Sie selbst ist vor einigen Monaten aus dem Ausland zurückgekehrt und kann meine freudige Nervosität kurz vor der Abreise nachempfinden. In diesem Moment bin ich sehr dankbar über die Freunde und Bekannte mit Auslandserfahrung, denn mit ihnen braucht es keine Worte. Wir verstehen uns auch so.

Zwei Stunden später schließe ich in Frankfurt meine Tochter und meine Eltern in die Arme. 24 Stunden später sitzen wir bereits im Flieger nach Kanada.

Auf geht’s… Abflug in Frankfurt

3. Mai 2017 – Ankunft in Windsor

Die Reise nach Windsor verläuft problemlos. Es ist der erste richtig lange Flug meiner Tochter und ich bin stolz, wie gut sie das mitmacht. Auch, dass die Oma mitfliegt, sorgt für große Freude! Ein Stück Normalität im aufregenden Übergang.

Als mein Mann uns nach deutscher Zeit um 2 Uhr nachts am Flughafen empfängt, sind wir alle wieder hellwach. Abends sitzen mein Mann und ich noch eine ganze Weile vor der Feuerstelle und lassen die vergangenen Wochen sacken.

Mitte Mai 2017.

Die ersten zwei Wochen verbringen wir in einem Ferienhaus am See, erst dann können wir in unser Haus. Es fühlt sich ein wenig wie Urlaub an und das lassen wir zu, erkunden ausgiebig die Stadt und die Region. Nach den ersten beiden regnerischen und kalten Tagen wird es zunehmend wärmer, der Sommer in Ontario beginnt und diesen genießen wir in vollen Zügen…

Urlaubsstimmung kurz nach dem Umzug

Zwei Wochen nach dem Umzug fasse ich meine Erfahrungen in diesem Beitrag zusammen: 8 Tipps, wie der Umzug ins Ausland am besten gelingt. Dann endlich beziehen wir unser Haus, meine Tochter darf schon stundenweise in ihre neue Kita, langsam bringen wir Struktur in den Alltag…

Wie das erste Jahr in Kanada wird und wann der Kulturschock einsetzt? Darum geht es im nächsten Teil.

Wie Teil 1 dieser Serie ist auch dieser Beitrag ein persönlicher Einblick in meine eigene Geschichte und die letzten Wochen vor meinem Umzug nach Kanada. Warum ich das mit dir teile? Neuanfänge, Umbrüche und Veränderungen gehen oftmals mit einem Wechselbad der Gefühle einher. Auch wenn die Grundeinstellung positiv und die Vorfreude auf das neue Abenteuer riesig ist, so lässt man eben doch auch ein Stück von sich selbst in der alten Heimat.

Freunde, Bekannte sowie Klienten berichten mir regelmäßig von ihrer Gefühlsachterbahn, die sie während geplanter oder bereits erfolgter Veränderungen ihres Wohnorts, Jobs oder anderen Umbrüchen im Leben bemerken. Das ist menschlich, zeigt es lediglich, dass wir unsere Situation aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten und uns ein realistisches Bild machen wollen. Durch meine Umzüge innerhalb Deutschlands aber auch durch den Neuanfang im Ausland habe ich vor allem eines gelernt: Nicht alles kann man im Vorfeld genau planen, mit der nötigen Flexibilität kann man sich aber an viele Situationen anpassen.

Wenn man an sich selbst und seine Entscheidung glaubt, seinen eigenen Fähigkeiten vertraut und ein Maß an Offenheit für Neues und Unbekanntes mitbringt, wird man dies in der Regel nicht bereuen.

Viele Grüße aus Kanada, Susan

P.s.: Du stehst aktuell vor einer geografischen oder beruflichen Veränderung in deinem Leben und bist unsicher, worauf du achten solltest oder suchst einen Gesprächspartner? Melde dich, ich bin gerne für dich da!

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